Samstag, 18. Februar 2017

Erzähl mir von „Tyranny“

Rufen wir uns einmal die einleitenden Szenen von „Conan –der Barbar“ in Erinnerung, in der der junge Conan den Tod seiner Eltern erleben muss und versklavt wird. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass wir auf der „anderen“ Seite – auf der Seite der „Riders of Doom“ – stehen, befinden wir uns quasi im Szenario von „Tyranny“ (Gamestar; Wikipedia|englisch) – einem Computer-Rollenspiel von Obsidian, das an trisometrische „old-school“-Zeiten mit teils rundenbasiertem Kampf erinnert.


Dort schlüpfen wir in die Rolle eines Invasors, der am Anfang im Namen des Herrschers Kyros die Spielwelt erobert und dann als „Schicksalsbinder“ – Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person (also eine Art „Judge Dredd“) – u.a. damit beschäftigt ist, den verbleibenden Widerstand zu bekämpfen. Dabei kann der Anschluss an eine der beiden – einander geradezu hasserfüllt gegenüberstehenden – Invasions-Armeen gesucht werden, die „Geächteten“ und der „Scharlachroten Orden“. In diesem Sinne stehen wir auf der Seite der Bösen und können im Dienste Kyros dem Eroberungshandwerk nachgehen. Dabei sind wir in ein Geflecht aus Beziehungen eingewoben, das viele Handlungsmöglichkeiten mit entsprechenden Konsequenzen verbindet: Wie wir auf Fragen antworten, ob wir Gewalt anwenden, ob wir lügen, was wir (wie) sagen usw., das alles kann Auswirkungen auf den Ruf haben. Entscheidungen sind hier aber auch nicht immer einfach, d.h. es gibt durchaus Dilemmata – also Situationen, in denen nicht das eine „richtig“ und das andere „falsch“ ist.

Das sorgt für eine dichte Struktur der Geschichte, die Spaß machen kann. Die Stimmung im Spiel ist in meinen Augen düster und verstörend, was insbesondere der Ausganssituation zu verdanken ist und dies aber auch gut rüberbringt – wir stehen schließlich auf der Seite „des Bösen“. Das kann dann, wie in manchen Überschriften zu Artikeln über „Tyranny“ – das Bild vermitteln, im Spiel ginge es darum, eine stereotyp-böse Ader ausleben zu können. In der Tat mag das für einzelne zutreffen und das Spiel gibt vom Hintergrund her durchaus diese Möglichkeit an die Hand, wenngleich es aufgrund des Reputations-Systems nicht ganz so billig daherkommt, als zunächst angenommen.

Insofern mag das Spiel auf Grund es Themas und des Hintergrunds Geschmackssache sein: Wer will schon in die Rolle eines Invasors schlüpfen und dann virtuell den üblen Schleimbolzen spielen wollen? Was soll daran reizen, die „böse“ Gegenseite zu spielen, wo sonst in normalen Rollenspielen gerne die Seite des Lichts bevorzugt wird? Das gilt erst Recht, wo wir real in einer Welt leben, in der wir die „dunkle Seite“ immer wieder erleben bzw. wir uns auf der Seite der „guten Invasoren“ stehen sehen, die ebenfalls „nur“ Ordnung bringen möchte.


Es gibt jedoch noch eine andere Perspektive auf das Spiel, die eine andere Sicht zulässt und auf eine äußerst interessante Meta-Ebene führt. Zwar stehen die „Schicksalsbinder“ auf „der Seite des Bösen“, aber sie können natürlich auch Gnade walten lassen, den „Widerstand“ stützen und somit gegen Kyros opponieren. Und genau hier wird es sehr interessant.

Ich dann bin ich nicht allein damit konfrontiert, das „Richte“ auf der „bösen“ Seite zu tun - mich also vor den eigenen Leuten in Acht nehmen zu müssen. Die Sache wird nämlich wesentlich vielschichtiger. Kann ich dem Widerstand, dem ich helfe, wirklich vertrauen? Vertraut der Widerstand mir? Wie gehe ich mit den verfeindeten Invasions-Armeen um? Selbst dort, wo ein Schicksalsbinder „Gutes“ tun möchte, kommt es zu moralisch fragwürdigen Entscheidungen, etwa, wenn die zwei verfeindeten Invasions-Armeen gegeneinander aufgebracht werden, um Kyros zu schwächen; oder wenn sich der Schicksalsbinder für eine von zwei bestimmten Fraktionen im Widerstand entscheiden muss, weil die eine nicht mit der anderen zusammenarbeiten möchte. Es gibt auch einen Gefährten, den kann ein Schicksalsbinder nur dann für sich gewinnen, wenn ihm erst einmal Gewalt angetan wird.

Das macht das Spiel unheimlich interessant, auch und gerade in Kombination mit diesem teils verstörend düsteren Hintergrund.

Ich selbst habe es noch nicht durchgespielt, d. h. ich sitze noch dran. Aber mich hat das Spiel trotz anfänglicher Bedenken (Will ich wirklich Invasor spielen?) doch ziemlich gepackt. Und zwar deutlich mehr als Pillars of Eternity, was wohl hier konkret mit dem Setting und der Geschichte in diesem Setting zu tun hat. Und trotz der durchaus etwas geradlinigen Geschichte. Zwar gibt es auch immer wieder ein örtliches Hin und Her, aber das stört hier weniger als in anderen Spielen, weil es einer gewissen Logik folgt. Vor allem das Reputationssystem gibt dem Spiel eine gewisse Würze: Viele Antwortoptionen haben halt verschiedene Konsequenzen. Eine Besonderheit ist: Am Anfang kann festgelegt werde, wie die ersten Jahre der Eroberung vor sich gehen und das hat dann im Spiel auch Auswirkungen, die ein Schicksalsbinder zu spüren bekommt und die in meinen Augen auch den Spielreiz ausmachen (ebenso das Potenzial, das Spiel mit anderer Ausgangslage noch einmal zu spielen).

Leider ist das Spiel bezüglich Reputation und Diplomatie nicht ganz so konsequent wie damals Arcanum, wo jemand als diplomatische Quasselstrippe einer ganzen Reihe von handgreiflichen Konflikten aus dem Weg gehen konnte. Insofern frag‘ ich mich schon, was es mir hilft, dass ich als diplomatischer Schicksalsbinder durch die Lande ziehe, wenn ich ständig auch in Kämpfe verwickelt werde. Aber dessen ungeachtet machen sich bestimmte Fähigkeiten (List, Athletik und Wissen) in diversen Dialogen deutlich bemerkbar. Alles in allem also ein Spiel, das einen Blick wert ist – zumindest für jene, die ein wenig mit old-school-RPGs und rundenbasierte Kämpfen keine Probleme haben.

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