Freitag, 19. Dezember 2014

Kommentierung Dezember 2014

PEGIDA steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ und ist das Schlagwort, das die Deutsche Gesellschaft in den letzten Wochen immer häufiger zu Ohren bekommt. Der bisherige Höhepunkt war eine Demo in Dresden mit ca. 15.000 Personen. Eine ausführliche Dokumentation zu PEGIDA und den Berichten findet sich auf den Nachdenkseiten:


Wer sich wundert, dass gerade in Dresden so viele auf die Straße gingen, wird vielleicht in „Pegida passt nach Sachsen“ (ZEIT) Antworten finden:

„Im Gegenzug gelten vielen im Land diejenigen, die sich gegen die Rechten und ihre Aktionen stellen, gleich als "linksextrem" und totalitär. Selbst die Justiz scheint das so zu sehen. Der Pfarrer Lothar König wird wegen seiner Proteste gegen Nazi-Aufmärsche verklagt, dasselbe Dresdner Amtsgericht will jetzt Bodo Ramelows parlamentarische Immunität wegen rechtlicher Streitigkeiten infolge einer Demo gegen rechts aufheben – Mosaiksteine einer sächsischen Debattenlage, in der antifaschistische Zivilcourage unter Generalverdacht gestellt wird. Die perfide Argumentation: Wer Nazi-Demos nicht einfach hinnimmt, ist ein Feind der freien Meinung, also ein Totalitärer und somit keinen Deut besser.
In Sachsen feiert diese unterkomplexe Spielart der Totalitarismustheorie der Gleichsetzung von links und rechts fröhliche Urstände. Die Speerspitzen dieses wissenschaftlich höchst umstrittenen Denkens, Uwe Backes und Eckhard Jesse, lehren bzw. lehrten am Dresdener Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung und an der TU Chemnitz. Mitten in der rechten politischen Kultur Sachsens haben sie sich der "Linksextremismusforschung" verschrieben.“


Ich will hier aber ausdrücklich klarstellen, dass ich weder für ein typisch ostdeutsches Strukturproblem halte noch für ein Problem, das sich so einfach auf die DDR zurückführen lässt. Letzteres ist zwar eine bisweilen beliebte sozialwissenschaftliche These, aber sie verkürzt, fördert zudem negative Stereotypen gegen Ostdeutsche und wird dem Phänomen letztlich ganz und gar nicht gerecht. Meiner Meinung nach bietet jede Gegend, jedes (Bundes-) Land, in dem sich über einen ziemlich langen Zeitraum der konservative Filz - wie in Sachen - bilden und halten kann und wo das rechte Auge praktisch immer gelähmt scheint, einen guten Nährboden für Bewegungen wie PEGIDA.

Besorgt bin ich jedenfalls, wenn ich mir die Versuche seitens der AfD anschaue, bei PEGIDA zu fischen. Denn beide - AfD wie PEGIDA - weisen inhaltliche Schnittmengen auf und lehnen die "Lügenpresse" sowie die "Parteien" (und missliebige "Wissenschaften") ab. (Siehe dazu auch Christian Wolff, "Es reicht! Von einem Biedermann und einer Brandstifterin".) Zudem handelt es sich bei PEGIDA - trotz der bisweilen markigen Sprüche auf den Demos - (noch) nicht um den tumben rechten Mob, der Ausländer durch Mügeln jagte, sondern um „gemäßigt“ auftretende Personen, mit denen sich auch die akademische Klientel der AfD „zeigen“ kann. Obwohl ich davon ausgehe, dass PEGIDA von der AfD-Elite wohl eher als "Fußvolk" betrachtet würde, so bildet beides ein Potenzial, das in beängstigender Weise eine politische Schlagkraft entfalten könnte - und sei es auch nur als "Königsmacher" der CDU.

Verkompliziert wird das Ganze dadurch, dass sich diese Bewegungen - AfD wie PEGIDA - höchst offiziell dem Diskurs verweigern. Das betrifft insbesondere die Medien vulgo „Lügenpresse“ und die „Politik“ (siehe auch taz), wobei wir bei der Politik zu oft auf die Parteien schauen, aber m. E. auch die Enttäuschungen durch die Gewerkschaften (als ehemals gesellschaftspolitische Kraft) mit einbeziehen sollten. So bitter das klingt, im Grunde wird nun geerntet, was gesät wurde. Unschuldig an der ganzen Situation sind weder Politik noch Medien noch Wissenschaft. Dummerweise liegen die linken Kräfte im Land derartig am Boden oder haben sich derartig ins Abseits geschossen (tlw. wurden sie das auch), dass jetzt eben nun die „rechten“ Diskursverweigerer am Zug sind.

Ein gutes Beispiel für diese Aussaat fand sich wieder in der Anne Will-Sendung vom 17.12.2014 (Titel: Flüchtlinge herzlich willkommen – Aber auch vor meiner Haustür?). Dort war u. a. Wolfgang Bosbach von der CDU geladen. Auf die Frage danach, ob es OK ist, in „gute“ und „schlechte“ Ausländer zu unterscheiden, kam es u. a. auf die Situation der Sinti und Roma zu sprechen. Bosbach zog sich darauf zurück, dass doch die Situation vor Ort gelöst werden müsse. Und das unter dem Hinweis, dass in den „Balkanstaaten“ Romas und Sinti tagtäglich diskriminiert (es fiel auch der Begriff „verfolgt“) werden. Ähnlich auch Hohlmeier angesichts der Flüchtlinge, die über das Meer kommen. Motto: Je mehr wir helfen, desto mehr kommen, desto mehr verdienen die Verbrecher (Schlepper) und deshalb müssen wir dort vor Ort helfen, was letztlich auf Auffanglager (euphemistisch: „Willkommens-Zentren“) hinausläuft. Ich bin zwar der Letzte, der auf die deutsche Geschichte verweist, aber in diesen Fällen halte ich das für angebracht. Denn angesichts unserer eigenen deutschen Geschichte – gerade auch mit Blick auf die Roma und Sinti – halte ich die Argumente von Bosbach und Hohlmeier für bedenklich. Ich meine, müssen die Menschen, die wir hier aufnehmen, wirklich immer vom Tod bedroht sein? Reicht es nicht, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen systematisch ausgegrenzt werden?

Bedenklich auch, dass vor allem die Argumentation von Bosbach letztlich auf die bekannte „das Boot ist voll“-Argumentation hinausläuft. Und diese ist a) beliebig und b) liefert sie die Grundlage dafür, die Diskussion mit Vorbehalten aufzuladen. Diese Argumentation wird zudem rhetorisch geschickt mit dem Ansinnen verknüpft, mensch wolle ja helfen, gibt also Hilfsbereitschaft vor, um dann aber darin zu enden, mensch könne die Probleme der Welt nicht im eigenen Land lösen. Deshalb – so die finale Schlussfolgerung – müssen die Probleme vor Ort gelöst werden, was als plausibles Argument dafür herhält, im eigenen Land gleich gar keine Hilfe oder nur begrenzt leisten zu müssen (gemäß „das Boot ist voll“).

Das ist Ausdruck einer Empathielosigkeit, der bewusst oder in völlig geistiger Umnachtung ein immer breiterer Weg geebnet wird.

Freitag, 27. Juni 2014

War es Majestätsbeleidigung, Euer Erlauchtheit?


Viele Medien berichten derzeit über einen Herrn Müller, der bis dahin wohl der breiten Öffentlichkeit unbekannt war und der vielleicht schon nächste Woche wieder dieses Schicksal teilen wird. Herr Müller, Jahrgang 1986, sitzt seit 2013 für die Linke im Brandenburger Landtag und hat im Gesichtsbuch den Bundespräsidenten Gauck einen „widerlichen Kriegshetzer“ genannt.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es sich dabei um eine Kommentierung eines Beitrags aus dem Neuen Deutschland handelte: „Ost-Pfarrer kritisieren Gauck“. Dort ging es um Gaucks Äußerungen auf der 50. Sicherheitskonferenz in München 2014, wonach „[d]ie Bundesrepublik […] auch bereit sein [muss], mehr zu tun für jene Sicherheit, die ihr von anderen seit Jahrzehnten gewährt wurde“.

Um ehrlich zu sein: Gauck war sich der Brisanz damals offenbar bewusst, weshalb die Kriegstreiberei, die dort heute hineininterpretiert wird, eher zwischen den Zeilen zu finden ist. Ein gewisser richtungsweisender Unterton ist durchaus zu vernehmen, wenn Gauck u. a. darauf hinwies, dass
Gauck relativiert aber an vielen Stellen den Eindruck, er würde einseitig Partei für den Krieg ergreifen (Einbindung von UN, Abwägung des Kriegseinsatzes usw.). Seine Rede ist insofern ein Lehrstück dafür, spürbar eine Stellung zu beziehen, dabei aber dennoch schemenhaft zu bleiben.

Aber zurück zu Müllers Kommentierung. Diese wäre wohl niemandem weiter aufgefallen, wenn sie die SPD nicht begierig aufgegriffen hätte, um darauf hinzuweisen, dass die Nazis in der Weimarer Zeit mit ähnlichen Schmähungen den damaligen Reichspräsidenten verunglimpften (SPON). Ein Nazi-Vergleich! Juhu, das Sommerloch ist gerettet.

Ich will das hier nicht weiter aufwärmen, aber auf einen interessanten Punkt hinweisen, der bei dem ganzen Wirbel um diesen Nazi-Vergleich unterging. Wie u. a. die Berliner Zeitung berichtete, soll es den Paragrafen 90 im Strafgesetzbuch geben, gemäß dem Müller für seine Schmähung des Bundespräsidenten hätte auch ins Gefängnis gehen können. Allerdings nur, wenn der Bundespräsident die Strafverfolgung veranlasst hätte. Gauck hat darauf verzichtet (RBB).

Obwohl die Sache nun geklärt ist, lohnt es sich trotzdem, einen Blick in diesen Paragrafen zu werfen, der eigentlich zwei Paragrafen umfasst. §90a StGB trägt „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ im Titel und lautet:


„(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3)

1. die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht oder

2. die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verunglimpft,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine öffentlich gezeigte Flagge der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ein von einer Behörde öffentlich angebrachtes Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder entfernt, zerstört, beschädigt, unbrauchbar oder unkenntlich macht oder beschimpfenden Unfug daran verübt. Der Versuch ist strafbar.

(3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.“


Und im Paragraf 90b StGB „Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen“ heißt es:


„(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) ein Gesetzgebungsorgan, die Regierung oder das Verfassungsgericht des Bundes oder eines Landes oder eines ihrer Mitglieder in dieser Eigenschaft in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise verunglimpft und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des betroffenen Verfassungsorgans oder Mitglieds verfolgt.“


Offenbar ist es so, dass in der Causa Müller §90b StGB gemeint war. Ich find’s deshalb journalistisch unsauber, dass im Grunde alle Medien (angefangen vom Handelsblatt, über die Welt bis zur Süddeutschen) vom §90 StGB schrieben. Wer sich den Spaß macht, in den Artikeln die entsprechende Stelle zu suchen, wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass dort so hemmungslos wie gedankenlos abgeschrieben wurde. Das ist zwar nur eine Kleinigkeit, aber auf der anderen Seite kann mir niemand einreden, dass es mehr als ein paar Klicks bedurft hätte, dies zu recherchieren und dann den Zusatz „b“ zu setzen.

Dieser Umstand ist auch deshalb keine Kleinigkeit, weil er den Eindruck verdichtet, dass den eigentlichen Paragrafen 90b StGB niemand so recht gelesen haben mochte. Für mich liest sich der nämlich so, dass die Verunglimpfung die absichtliche Bestrebung „gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze“ erkennen lassen muss.

Ich bin kein Jurist, aber ich denke, dass das eine ziemlich hohe Hürde darstellt. Das hätte Anlass sein können, kritisch bei der entsprechenden Staatsanwaltschaft (Potsdam) nachzufragen, was an Müllers zwei Sätzen denn nun genau gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen die Verfassungsgrundsätze gerichtet ist. Das wäre kritischer Journalismus gewesen.

Was ich aber noch viel erstaunlicher finde, ist, dass es diese beiden Paragrafen 90a und 90b StGB überhaupt gibt. Gut, die Ahndung der Zerstörung von staatlichen Insignien, die an Behörden angebracht sind u. ä. (§90a Abs. 2 StGB), das kann ich noch nachvollziehen, obwohl ich das eher unter Sachbeschädigung verbuchen würde. Bei §90b StGB wird’s schon schwieriger: Dort wäre zu klären, wie sich das zur Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG) und zum Widerstand (Artikel 20 GG) verhält.

Aber unabhängig von diesen Fragen wirken beide Paragrafen auf mich merkwürdig anachronistisch, regelrecht aus einer Zeit stammend, in der Majestätsbeleidigung oder die Beleidigung des ZK der SED geahndet wurde. Eine Zeit, in der offenbar niemand so recht mit Kritik umzugehen wusste oder Kritik nicht erwünscht war. Das verleiht dem ganzen Vorgang eine bittere Ironie: Das Wohlwollen des höchsten Repräsentanten des Staates, von dem Müllers Wohlergehen für einen kurzen Moment abhängig war, hätten Bürgerrechtler zu anderen Zeiten in anderen Ländern wohl kritisiert.

Montag, 23. Juni 2014

Mein lieber Herr Windstein ...

Es gibt so Bands, da kommt immer nur in unregelmäßigen Abständen etwas. Irgendwie verliere ich die deshalb bisweilen aus dem Auge, aber irgendwann erinnere ich mich und schau mal, ob es ein neues Album gibt. Tja und so geschehen jetzt wieder mit Crowbar.

Quelle: Wikipedia

"Symmetry in Black" heißt das Album. Und meine Fresse, was habe ich DARAUF gewartet. In den Kritiken kommt die Scheibe auch überwiegend gut weg (z. B. hier, hier, hier, hier und hier). Für mich erreicht das Album auf jeden Fall die Bestnote: Es ist wieder verdammt abwechslungsreich, wartet mit gewohnt fetten Riffs auf, haut auch mal in kerniger HC-Manier rein, stattet viele Songs mit richtig geilen Refrains aus und macht einfach nur Spaß.