Freitag, 15. März 2013

Marktradikaler Nationalchauvinismus

Jens Berger (Spiegelfechter, NachDenkSeiten), ist dafür zu danken, dass er sich kürzlich in einem - wie ich finde - faktenreichen Beitrag der "Alternative für Deutschland" (AfD) widmete (Können Marktradikale und Nationalchauvinisten eine „Alternative für Deutschland“ sein?).

Er führt dort die Hintermänner und Hintergründe auf und zeigt, welches marktradikales und national-chauvinistisches Gedankengut dort wirkt: Starbatty und Lucke sind nur einige der tragenden Personen - und sie sind schon länger dafür bekannt, ihre Ziele im Schein der Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu tragen, sei es durch Verfassungsklagen gegen den Euro oder durch medienstarkes Auftreten wie im "Hamburger Appell" (übrigens im Dunstkreis der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft).

Berger sieht sehr starke Parallelen zur Tea-Party-Bewegung in den USA und meint folglich auch, dass die Tea-Party nun in Deutschland angekommen sei (wobei er natürlich auch auf die wesentlichen Unterschiede eingeht). Nach außen wird diese Partei aber vornehmlich als "Anti-Euro-Partei" verkauft. Berger enttarnt das völlig zu recht als "Eurokritik[, die] vielmehr eine Art Lockvogel ist, mit der Unzufriedene aus dem bürgerlichen Lager eingefangen werden sollen – ein trojanisches Pferd mit einem äußert radikalen Inhalt".

Im Wahlprogramm der AfD äußer sich diese Euro-Kritik in einem geradezu verächtlichen Tonfall gegenüber den EU-Gremien (Brüsseler Bürokratie, Abgeordnete des Europa-Parlaments usw.). Was die AfD gegen die zentralistischen und bürkratischen Tendenzen, die sie mit dem derzeitgen Europa verbindet, in Stellung bringen will, das ist eine schlanke EU-Organisation mit mehr (!) Wettbewerb und Eigenverantwortung. Wortwörtlich heißt es dort: "Wir unterstützen nachdrücklich die Positionen David Camerons, die EU durch mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung zu verschlanken".

Mit Wettbewerb und Eigenverantwortung kann aber letztlich nur gemeint sein, dass die EU-Länder im Wettbewerb stehen und mit den Verlusten oder Gewinnen (Vorteilen oder Nachteilen) ihrer Politik (auch gegenüber den anderen EU-Staaten) in eigener Regie entscheiden sollen. Letzteres bedeutet, dass kein Nationalstaat für sein Tun Rechenschaft ablegen muss - er ist der Verantwortung gegenüber seinen EU-Nachbarn praktisch entbunden.

Was im ersten Moment noch nach Gauck'scher Freiheit klingt und vermeintlich Liberale vor Freude jauchzen lässt, konterkariert aber die Idee eines gemeinsamen Europas. Denn in einem gemeinsamen Europa muss es möglich sein, für die Harmonisierung der Steuern, für eine Angleichung der Lebensverhältnisse und Sozialstandards etc. zu sorgen.

Anders formuliert: Die Idee "Europa" soll gerade den Wettbewerb zwischen den Staaten verringern und statt schwache Staaten "eigenverantwortlich" ihrem Schicksal zu überlassen, geht es in einem gemeinsamen Europa auch um Solidarität. Deshalb ist das Wahlprogramm der AfD in dem Punkte sogar "europa-feindlich", weil es der Idee eines gemeinsamen Europas in letzter Konsequenz eine Absage erteilt.

Ein Land kann dann seine "Wettbewerbsfähigkeit" auf Kosten der Europäischen Nachbarn erhöhen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können.

Dieser Vorwurf ist heute bereits gegenüber der deutschen Wirtschaftspolitik zu hören, z. B. von Heiner Flassbeck oder auch vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (PDF).

"Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind nach wie vor so groß, dass sie unsere Handelspartner in der europäischen Währungsunion und auch außerhalb unter großen Druck setzen, und das macht es so schwer, die Krise im Euroraum zu bewältigen" (Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (PDF))


Wie ein Europa "in Freundschaft und guter Nachbarschaft" (AfD) mit mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung überhaupt funktionieren soll, das bleibt deshalb ein Geheimnis der AfD. Vermutlich (!) wird die AfD dann auf den Segen einer mysteriösen "unsichtbaren Hand" (des Marktes) verweisen.

Ein solcher marktradikale Kern offenbart sich den kritischen Beobachterinnen und Beobachtern aber auch beim Durchstöbern der zahlreichen Hintergrundinformationen, die Jens Berger am Ende seines Beitrages über einzelne Unterstützer der AfD zusammentrug.

Abschließend möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Kritik an dem Euro oder der Organisation der Europäischen Union natürlich kein Tabu darstellen sollte. Um es eindeutig klarzustellen: Wer sich kritisch zu Europa oder dem Euro äußert, ist nicht automatisch ein Europafeind, ein Rechtspopulist, Nationalchauvinist oder Neonazi.

Allerdings sollte es auch nicht zu schwer fallen, festzustellen, dass Kritik von z. B. Amnesty International, der Occupy-Bewegung, LobbyControl oder Attac einfach anders geartet ist, als die Europa- und/ oder Euro-Kritik der Rechtspopulisten. Letztere mögen Gift und Galle spucken, wenn dann darauf hingewiesen wird, welche Stilmittel sie mit dem rechten Rand teilen (Nationalchauvinismus, Etabliertenvorrechte, Elitismus usw.). Für gewöhnlich ist es aber genau das, was sie auch bereits bei der oberflächlichen Kenntnisnahme ihrer Inhalte und Forderungen von eher pluralistischen Euro- und Europakritiker(inne)n unterscheidet.

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