Sonntag, 2. Oktober 2011

Glücksatlas

Letzte Woche sitze ich am Ende eines aufrenden Tages irgendwo in Meck-Pom, will mir den "Luxus" eines TV-Abends gönnen und werde aber schon gleich im Heute-Journal wieder darin bestätigt, keinen Fernseher zu besitzen.

Der Grund lag in der Nachricht, mit der das Heute-Journal im ZDF am 20.09.2011 startete: Da wurde der "Glücksatlas 2011" von Bernd Raffelhüschen mit einem Beitrag über zwei Minuten bedacht, an dem sich dann ein längeres Interview (über vier Minuten) mit Raffelhüschen anschloss. Der O-Ton: "Die Deutschen" sind glücklich, trotz Krise usw.



Was mich stört, ist einerseits, wie das Interview eingeleitet wurde. "Geld allein macht nicht glücklich", hieß es da. Raffelhüschen bestätigte das, meinte, dass Geld zwar eine Glückskomponente darstellt, aber zum Glücklichsein noch andere Aspekte gehören, z. B. Gesundheit, Gemeinschaftsgefühl und eine genetische Disposition.

Die erwähnte genetische Disposition nahm Moderator Claus Kleber zum Anlass, etwas von deutschen "Stammeszugehörigkeiten" zu sprechen und den Thüringer(inne)n, die laut "Studie" nicht ganz so glücklich sind, ein "Unglücklichsein-Gen" unterzuschieben. Raffelhüschen relativierte das, um dann aber gleich darauf wieder zu betonen, dass es einen "Menschenschlag" gäbe, der das Glas Wasser doch lieber halb leer (statt halb voll) sähe.

Es mag sicherlich der Lebenserfahrung entsprechen, dass es solche Leute gibt. Wer kennt sie nicht, diese ewigen Pessimisten! Smilie by GreenSmilies.com 

Aber solche schlichten Lebensweisheiten im Gewandte der Wissenschaft zu präsentieren, das ist mir vor allem nach den Sarrazin-Debatten einfach zu billig! Ich hätte mir da gerne ein paar mehr Fakten gewünscht. Diese wurden aber nicht geliefert.

Übehaupt: Es wurde so getan, als ob es etwas ganz Besonderes sei, dass sich ein Ökonom wie Raffelhüschen mit "Glück" beschäftigt.

Dass es einen Bruno S. Frey (Homepage) gibt, der selbst Ökonom ist, in der Schweiz schon seit Langem zum Glück forscht und zu den meist zitiertesten Wissenschaftlern der Welt zählt, das scheint noch nicht zu den Top-Journalisten von Heute vorgedrungen zu sein. Die blödsinnige Einleitung a la "Geld allein macht nicht glücklich" hätte sich Claus Kleber dann nämlich sparen können. Zu dem Aspekt schrieb Frey in einem Artikel der Handelszeitung vom 04.04.2011:

"Personen mit höherem Einkommen sind im Durchschnitt eindeutig glücklicher als solche mit geringem Einkommen. Geld macht also glücklich. Allerdings gilt dies nur im unteren Einkommensbereich".


Solche Aussagen stehen im Kontrast zu dem Bild, das der obige Bericht vermittelt. Das gilt vor allem mit Blick darauf, dass die OECD Deutschland zu den Ländern zählt, in dem die Einkommensungleichheit in den letzten Jahren zunahm (OECD 2008, PDF). Selbst das Handelsblatt titelte dazu 2008: "Armut in Deutschland wächst rasant". 2008 galten 15,5 Prozent der Bevölkerung als "armutsgefährdet", während es 2005 noch 12,7 Prozent waren (Bpb).

Der Gipfel des Ganzen ist, dass Bernd Raffelhüschen nur (!) als Finanzwissenschaftler vorgestellt wurde. Dabei ist er Fellow der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, einem "neoliberalen" ThinkTank des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Während in den gängigen Talk-Shows Vertreter(innen) der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bisweilen auch als solche vorgestellt werden (z. B. Oswald Metzger und Arnulf Baring), scheint das Heute-Journal da noch ein wenig Nachholbedarf zu besitzen. Nebeher ist Raffelhüschen auch "beratend" in der Versicherungsbranche tätig und "berat" die Bundesregierung damals in Sachen "private Rentenversichung" (in der Rürup-Kommission).

Deshalb hat Albrecht Müller von den NachDenkSeiten diese "Nachricht" völlig zu Recht als Kampagnen-Journalismus, als PR kritisiert und darauf hingewiesen, wie unreflektiert die Medien die Nachricht vom "Glücksatlas" übernahmen. Wer jetzt noch meinen obigen Hinweis auf Bruno S. Frey mit beachtet, findet einen ernsthaften Grund, um sich um den deutschen Journalismus wirklich Sorgen zu machen.

 Bild: Wikipedia

Journalistisch war diese Nachricht allenfalls mangelhaft. Dass dieses Propaganda-Stück gleich als erste "Nachricht" im Heute-Journal auftauchte und mit insgesamt acht Minuten bedacht wurden, ist nicht zu fassen und erinnert mich eher an den Informationsgehalt einer Aktuellen Kamera. Ehrlich gesagt bin ich froh, jetzt wieder zu Hause zu sein, wo kein Fernseher rumsteht und ich nicht in Versuchung gerate, mir solch gebührenfinanzierten Müll anzutun.



1 Kommentar:

Michael hat gesagt…

Hallo Arbo, wir haben uns erlaubt deinen tollen Artikel in unserem Beitrag zu verlinken: http://www.bist-du-deutschland.de/2011/10/deutsche-post-gluecksatlas-2011/