Mittwoch, 20. Juli 2011

Faules Promotionswesen?

Über Guttenberg, Mathiopoulos, Chatzimarkakis, Koch-Mehrin & Co. und deren (mutmaßliche) Plagiate wurde in letzter Zeit recht viel geschrieben. Leute Silvana Koch-Mehrin (FDP) liefern ja auch genügend Schreibstofft: Erst der Entzug des Doktorgrades, den sie mit der sicher nicht ganz unberechtigten Schuldzuweisung an die Uni Heidelberg kommentierte, und jetzt natürlich der Widerspruch gegen den Entzug des Doktortitels, was unter Umständen vor dem zuständigen Verwaltungsgericht enden kann – ein Umstand, der in der Frankfurter Rundschau mit „Frau Doktor Kamikaze“ ironisch quittiert wurde.


Wie dem auch sei: Viele Bits sind mittlerweile ins Netz geflossen und es scheint ganz so, dass je länger die Plagiatsaffairen andauern und je mehr Personen davon betroffen sind, auch der Müll zunimmt, der in eben jene Bits oder Druckerschwärze gegossen wird.

Da schien es zunächst erst einmal recht erfreulich, dass sich Peter Gaehtgens zu diesem Thema meldete. Schließlich ist er Medizinier, Professor für Physiologie und war zwischen 2003 bis 2005 der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Vielversprechend klang der Titel seines Beitrags in der Zeit: Faules deutsches Promotionswesen.

Wer aber tatsächlich gehofft hatte, dass der gute Mann etwas qualifiziertes zum Thema zu sagen hatte, durfte am Ende enttäuscht den Artikel wieder wegklicken. Wer Peter Gaehtgens nicht kannte oder den Hinweis über seine „Kompetenz“ überlesen hatte, musste den Verdacht haben, da schreibt einer, ohne wirklich eine Ahnung vom Wissenschaftsbetrieb zu haben. So klang es jedenfalls auch in den Kommentaren zu Gaehtgens Artikel an.

Der Murks fängt bereits bei der Behauptung an, dass „gültige Kriterien“ für die wissenschaftliche Qualitätsprüfung schon „längst etabliert und als Arbeitsgrundlage des gesamten Wissenschaftsbetriebs unbestritten“ sind. Angeblich sollen sie die Neutralität der wissenschaftlichen Begutachtung sichern. Was ihm dazu einfällt, ist allerdings nur das sogenannte peer review. Bei diesem Verfahren werden Artikel u.ä. anonymisiert bevor sie an die GutachterInnen geleitet werden.

Jetzt kann ich nicht für alle Wissenschaftsdisziplinen sprechen. Aber wenn ich mir beispielsweise die Wirtschaftswissenschaften anschaue, weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob ich angesichts der von Gaehtgens behaupteten Neutralität der wissenschaftlichen Begutachtung weinen oder lachen soll. Treffend brachte es vor ein paar Jahren Geoffrey Hodgson, seines Zeichens Evolutionsökonom, in „The great crash of 2008 and the reform of economics“ auf den Punkt, als er dort u.a. die Mathematisierung der Ökonomik beklagte: Manuskripte, die ohne Formeln auskamen, hätten in den maßgeblichen ökonomischen Journals keine Chance gehabt. Ähnlich wird es wohl mit Themengebieten aussehen, die ebenfalls nicht im Mainstream angesiedelt sind. Alles, was nicht in den Mainstream passt, wird aussortiert. Neutralität sieht anders aus!

Aber gut, hier mag Gaehtgens einwenden, dass sich im Mainstream nur die guten und etablierten Kriterien durchsetzen. Wer da nicht mitspielen will, ist halt unwissenschaftlich. In der Tat lässt sich solch eine arrogante Haltung bisweilen beobachten.

Dumm nur, dass das recht ernste Konsequenzen haben kann. Mit Blick auf die Wirtschaftswissenschaften lässt sich nämlich feststellen, dass diese ganz bestimmte – dem Mainstream nicht genehme – Kenntnisse lange Zeit vernachlässigte oder sogar ignorierte (Stichwort: Hyman Minsky) und im Ergebnis die weltweite Wirtschaftskrise, die 2007/2008 ihren Anfang nahm, noch nicht mal im Ansatz erkannte.

Außerdem ist es eine Binsenweisheit, dass sich innerhalb von wissenschaftlichen Disziplinen bestimmte Schulen bilden. In der Ökonomik gibt es z.B. Monetaristen, die neoliberale und ordoliberale Schule, die Neue Institutionsökonomik, Keynesianer, Östereicher (Österreichische Schule) oder die Sraffa-Schule, um nur ein paar zu nennen. Diese Schulen zeichnen sich durch ganz bestimmte Methoden, Annahmen und Ansätze aus, die in ihren Kreisen akzeptiert werden. Auch da lässt sich nicht von Neutralität sprechen: Wenn z.B. ein ordoliberaler Gutachter einen marxistischen Aufsatz begutachten soll (oder umgekehrt), lässt sich leicht absehen, wie wenig Chancen solch ein Manuskript auf eine Veröffentlichung hat.

Zudem sollte beachtet werden, dass die von Gaehtgens gelobten peer reviews gar nicht so unumstritten sind. Eine Vielzahl an Kritikpunkten lässt sich dem Artikel von Alfred Kieser aus der FAZ (2010) entnehmen. Ob die peer reviews und die Kriterien der Journals wirklich transparent sind, lässt sich ebenfalls bezweifeln. Abgesehen davon, dass sich die gelobte Anonymität sicher mit ein paar Tricks umgehen lässt.

Jedenfalls ist mir schleierhaft, wie Gaehtgens behaupten kann: „Diese »gute wissenschaftliche Praxis« [peer review, Anm. d. Verf.] hat sich bewährt; die geringe Anzahl der Verstöße belegt ihre hohe Akzeptanz in der scientific community“. Woran misst er denn die „geringen Verstöße“? Können hier nicht leicht „geringe Verstöße“ mit einem wissenschaftlichen Einheitsbrei verwechselt werden? Deutliche Fragezeichen sehe ich ebenso mit Blick auf das Vertrauen, dass Gaehtgens in Unabhängigkeit, Kompetenz und die begründete „Zuverlässigkeit des wissenschaftlichen Urteils“ hat.

Aber ich will nicht nur auf den peer reviews rumreiten. Ein weiterer Vorschlag war, zwischen Prüfung und Betreuung der Doktorarbeit zu trennen, um Gefälligkeiten auszuschließen. Sicherlich, die Betreuung mag auf der einen Seite befangen sein. Auf der anderen Seite ist die Betreuung der Doktorarbeit häufig die einzige Person, die wirklich einen Einblick in die Arbeit hat und das Thema beurteilen kann. Mensch muss sich nur mal überlegen, wie schwer es für einzelne Themen ist, überhaupt eine geeignete Betreuung zu finden!

Als Korrektiv soll hier ein Zweitgutachten dienen. Anders als Gaehtgens behauptet, ist es nicht immer so, dass die Zweitgutachter aus der eigenen Fakultät oder der eigenen Universität kommen müssen.

Gaehtgens übersieht, dass innerhalb der Universität durchaus der Haussegen schief hängen kann und somit häufig von sich aus bereits ein externer Gutachter gesucht wird. Ein anderes Problem sind sicher bestimmte Themen, bei der die Expertise nicht wie Sand am Meer zu finden ist (Wirtschaftsethik, Marxismus, Produktionstheorie usw.). Auch da wird mensch automatisch einen externen Gutachter suchen. JedeR, der damit konfrontiert war, weiß, dass dies mit Blick auf die Neutralität der externen Gutachter ein Roulettespiel sein kann!

Die Suche nach externen Gutachtern wird vor allem auch durch die schlechte personelle Ausstattung der deutschen Hochschullandschaft in gleich mehrerer Hinsicht negativ beeinträchtig. Denn erstens muss überhaupt erst Mal ein Zweitgutachter gefunden werden, der sich den Aufwand machen will. HochschullehrerInnen haben in der Regel einen Job, der sie durchaus mehr als auslastet. Hier fehlt einfach der entlastende wissenschaftliche Mittelbau! Zweitens sorgen Standesdünkel, Budgetkürzungen (nebst Stellenabbau) usw. dafür, dass generell weniger Hochschullehrer tätig sind. So groß ist die Auswahl an fähigen und bereitwilligen Gutachtern mitunter gar nicht.

Wenn sich externe Gutachter dann dem Urteil der Erstbegutachtung anschließen, ist das von Gaehtgens natürlich zu Recht zu kritisieren. Davon angestachelt wettert Gaehtgens aber gleich weiter gegen die Einzelpromotion. Was soll aber die Alterantive dazu sein? Doktorandenprogramme?

In einzelnen Disziplinen mag das ja gut aufgenommen werden. Unter dem Strich wirken diese Programme aber doch recht verschult. In meinen Augen ist das irgendwie eine Herabwürdigung: Wer will sich schon gerne als Doktorand behandeln lassen wie einen Schüler? Im Regelfall sind es NachwuchswissenschaftlerInnen, die bereits Spezialisten auf einem bestimmten Gebiet sind. In den Doktorandenprogrammen werden dann aber wieder einmal mehr zumindest symbolisch die universitären Hierarchien reproduziert.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Doktorandenprogramme wirklich etwas für jedes Promotionsthema sind: Soll sich ein Promovend, der oder die über alternative Wirtschaftsmodelle forscht, in ein Doktorandenprogramm „einfügen“, das sie oder ihn wiederum in den Mainstream reinzupressen versucht? Was haben solche Promovierenden davon? Ich selbst konnte z.B. mit den Programmen an meiner Fakultät rein gar nichts anfangen.

Eine andere Alterantive zu den Einzelpromotionen sind kumulierte Dissertationen. Das läuft im Regelfall so ab, dass die Promovierenden einzelne Artikel schreiben und diese dann bei Journals einreichen. Mal unabhängig davon, dass es für Newcomer im Normalfall schwierig sein sollte, Artikel in einem Journal unterzubringen, existiert das altbekannte Ausbeutungsproblem: Da schreibt einer einen Artikel und der wird dann mit Angabe des Institutsdirektors veröffentlicht. Eine eigenständige Arbeit sieht für mich anders aus!

Soll also alles so bleiben, wie es ist? Natürlich nicht. Aber machen wir uns nichts vor, so lange sich an der finanziellen und personellen Ausstattung und der Struktur der Universitäten nichts ändert, stehen die Chancen schlecht, dass sich in den Promotionsverfahren etwas verändern wird. Hier sind zunächst alte Strukturen aufzubrechen, damit bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse minimiert werden. Ein funktionsfähiger und zufriedener akademischer Mittelbau muss her, damit ProfessorInnen angemessen entlastet werden können. Es ist dann zu hoffen, dass das wissenschaftliche Umfeld pluralistischer wird und damit eine wirklich kritische Streitkultur entsteht (so, wie es Gaehtgens auch forderte). Wissenschaft kann dann wieder ein wirklich hartes Geschäft werden, auf das sich schneidige TrittbrettfahrerInnen lieber nicht einlassen wollen.

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