Donnerstag, 30. Juni 2011

Allgemeine Presseschau (Juni 2011)

Mein Job bringt mit sich, dass ich hin und wieder quer durch die Welt gurke. Letzter Montag war wieder solch ein Tag, der, angesichts der angekündigten Hitze, zu leicht in ein bahnzügliches Martyrium hätte münden können.

Tatsächlich fiel die Klimaanlage in einem Abteil meines Intercitys aus. Ich selbst fand das nun aber nicht wirklich zu warm dort. Eher bequem, wo da doch nicht so viele Leute saßen. Aber nichts da: Laut Verordnung XYZ dürfe ich mich da nicht breit machen. Also musste ich in ein anderes Abteil und mir dort den Zug mit Hechtsuppe gönnen. Toll!

Aber ein guter Anlass, hier einmal auf meine Lieblingskolumne hinzuweisen: Denn Mely Kiyak motzte am Samstag (25.06.2011) wieder in ihrer herrlich, rotzfrechen Art über eben diese Deutsche Bahn. Ich selbst mag, nein: liebe, ihre Texte. Vielleicht nicht alle. Aber ich würde meinen, fast alle.

Der häufig widerspenstige Humor ihrer Kolumne, die erfrischend jugendlich rüberkommt, gehört für mich einfach zu den Wonnemomenten der Woche. Davon abgesehen schrieb sie auch sehr ernste Beiträge, die ebenfalls einen eigenen Charme versprühen und gerade dadurch zum Nachdenken anregen. Auch, wenn ich sicher bin, dass sie's nie lesen wird: Danke dafür!

Damit zu einem ersteren Thema: Dem Steuerbauch. Jens Berger, der Spiegelfechter, hat auf den NachDenkSeiten einen interessanten Beitrag zu eben diesem Thema geschrieben, den ich jedem und jeder gerne ans Herz legen möchte. Vor allem auch deshalb, weil ein gewisser Professor aus Heidelberg derzeit wieder mit seinen Reformvorschlägen zur Besteuerung in den Zeitungen ist.

Heute ist der 30.06.2011 und damit leite ich über zu Tom Strohschneider im Freitag (26.06.2011), der die Verschleppung der Wahlrechtsreform kritisierte: Drei hingeworfene Jahre, so sein Fazit. Passend dazu der am 29.06.2011 getwitterte Hinweis von Bettina Hammer (Telepolis):

"Wie stark sich die nervenaufreibende Situation für die Abgeordneten bemerkbar macht, zeigt sich deutlich daran, dass neben der Verlängerung der "Antiterrorgesetze" nicht einmal Zeit, Nerven und Kraft vorhanden waren, um ein Wahlrecht zu formulieren, dass den Vorgaben von Karlsruhe Stand hält. Der jetzige Entwurf wird nach der Sommerpause bearbeitet werden - die Frist, die das BVerfG setzte, endet am 30. Juni diesen Jahres."

Ich hatte zwar schon vor ein paar Tagen darauf hingewiesen, aber ich denke, an diesem Tage sollte mensch nochmals auf dieses unrümliche Stück Politik aufmerksam machen. Sollte sich heute nichts ändern, können Sie, werte Leserschaft, den heutigen Tag als historisches Ereignis im geschichtsträchtigen Kalender notieren: Der 30.06.2011, der Tag, an dem sich die deutsche Politik von der Demokratie verabschiedete.

Passend dazu gleich nochmal die Erinnerung an die Dresdner Datensammlungssauerei. Wie die Frankfurter Rundschau (22.06.2011) berichtete, hatte die Dresdner Polizei nicht nur anlässlich einer Anti-Nazi-Demo im Februar 2011 eine Funkzellenauswertung vorgenommen, sondern bereits 2009. Die Daten wurden natürlich nicht gelöscht.

Wer sich dazu die Diskussion um die Aufbewahrung der Daten in Erinnerung ruft, wird hier all jene bestätigt finden, die damals schon vor Begehrlichkeiten warnten und kritisierten, dass weder die Datensicherheit noch die Löschung der Daten bei elektronischen Überwachungen gewährleistet sei.

Zum gleichen Sachverhalt berichtete die taz (29.06.2011), dass nicht nur Bewegungsdaten aufgezeichnet wurden, sondern auch ganze Gespräche. Der Innenminister Ulbig (CDU) bestritt das allerdings. Überhaupt warf die Sächsische "c"DU Nebelkerzen, indem sie zum "Gegenangriff" überging und behauptete, dass mit den Vorwürfen zur Handy-Überwachung von linken Gewaltorgien abgelenkt werden sollte. Dagegen kritisierte selbst der Koalitationspartner FDP - vereinzelt - diese Überwachungsmethoden.

Damit zu einem anderen Thema: Antiziganismus. Während mensch hierzulande für den Antisemitismus reichlich sensibel zu sein scheint, fristet der Antiziganismus - die "Zigeunerfeindlichkeit" - ein regelrecht stiefmütterliches Schattendasein. Dabei reicht ein Blick in die östlichen Gefilde Europas, um einfach nur empört zu sein. Aber auch in unserer unmittelbar westlichen Nachbarschaft spielt sich Fragwürdiges ab: Erst letztes Jahr, als Frankreichs Präsident Sarkozy mit den Räumungen sogenannter Roma-Lager den antiziganistischen Einstellungen der Französinnen und Franzosen Vorschub leistete.

Jedenfalls berichtete Jeroen Kuiper im Freitag (18.06.2011) über die aktuelle Lage der Roma und Sinti in Ungarn. Sicherlich keine einfache Situation. Aber ich denke, gerade wir als Europäer haben da eine gewisse historische Verantwortung gegenüber diesen Minderheiten, die im Grunde schon immer von der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert wurden. Offen gestanden: Die - auch moderne - Fortsetzung dieses Zustands halte ich für unerträglich.

Nun will ich nicht zu einem Ungarn-Bashing anregen. Das wäre mir zu einfach, zumal die Ungarische Fidesz-Regierung "dank" ihres Mediengesetzes in letzter Zeit ohnehin in der (Europäischen) Kritik stand (Zeit, 08.03.2011). Auf der anderen Seite schießt die Ungarische Regierung einen Bock nach dem anderen: Jetzt wird gerade ein Gesetzesentwurf diskutiert, laut dem Erwerbslose schon mal zur Arbeit z.B. auf den Bau verpflichtet werden können. So berichtete Ralf Leonhard in der taz (30.06.2011):

"Ein bereits im Ministerrat präsentierter Plan sieht vor, die Arbeitslosenunterstützung von derzeit neun Monaten auf 180 Tage zu begrenzen. Ein erster Entwurf zog sogar drei Monate in Betracht. Wer dann keinen Job hat, soll im Rahmen eines 'Ungarischen Arbeitsplans' zwangsverpflichtet werden können - unabhängig von der Qualifikation.

Die Rede ist von großen Bauvorhaben, wie der Errichtung des neuen Stadions von Debrecen, der größten Stadt Ostungarns. Eine zweistündige Anreise zur Baustelle wird als zumutbar erachtet. Wer mehr als zwei Stunden entfernt wohnt, würde dann für die Dauer des Einsatzes in einer Containerstadt, also einem Lager, untergebracht werden."

Das dürfte Vertreter(inne)n der FDP und CDU/CSU regelrecht das Wasser in die Augen treiben. Vom hierzulande üblichen Ein-Euro-Job zu solchen Ideen ist es ja nur ein kleiner Schritt. Sollte sich Ungarn am Ende als Experimentierwiese einer westlich-"neoliberalen" Politik erweisen?

Zu einem anderen Thema: Florian Rötzler (Telepolis, 30.06.2011) berichtete über ein Papier zweier Wirtschaftswissenschaftler, die sich mit Kriegen, Globalisierung und Demokratie beschäftigten. Zugegebenermaßen könnte der Artikel etwas detaillierter sein. Dennoch gibt er ein paar interessante Ergebnisse dieser Stude preis:

"Die Globalisierung hat keineswegs das Interesse an kriegerischen Auseinandersetzungen schrumpfen lassen und auch die Hoffnung, dass Demokratien die Lust am Krieg schwinden lassen, scheint zu trügen. Zwar sind Handel und Demokratisierung angestiegen, gleichzeitig aber auch Kriege. Zwischen Demokratie und Kriegen haben die Wissenschaftler keine Beziehung feststellen können, während Handelsoffenheit ein klein wenig die Bereitschaft zum Krieg zu mindern scheint."

Insgesamt ein guter Anlass, sich etwas mehr mit dieser Studie und dem Thema zu befassen.

Nun noch etwas zum Thema Kultur. Als ich letzte Woche auf Zeit-Online rumstöberte, traute ich meinen Augen kaum: Atari-Teenage-Riot scheinen wieder ein Album produziert zu haben. Für alle, die nicht wissen, wer ATR ist: Eine linke Anarcho-Techno-Kapelle aus Berlin. Zugegebermaßen ist deren Musik gewöhnungsbedürftig. Nicht jedeR wird sie lieben. Aber mit ihrer "Hetzjagd auf Nazis" wurden ATR am Anfang der 1990er regelrecht Kult.

Um einen etwas anderen Medien-Kult ging es bei Toms Wochenschau. Passend zum Ende der Wetten-das-Gottschalk-Ära fragte er: Wann verschwinden Sie endlich von der Mattscheibe, Herr Gottschalk? Bei dem ganzen Hype, der in den Wochen davor um Gottschalk gemacht wurde, denke ich, dass Tom hier einen gut argumentierten Kontrastpunkt setzte. Das dort verlinkte Interview mit Kinsky zeigt, dass Gottschalk den Hype überhaupt nicht wert ist.

Tja und zum Schluss ein kleiner Nachruf: Peter Falk alias "Columbo" ist am 23.06.2011 gestorben. Zwar wirkte Falk auf mich nie wie ein großer Star, aber er hatte dieses unerklärliche Etwas, das ihm meine Sympathie einbrachte. Das gelang ihm vor allem mit seinem Columbo, der ständig etwas schnuddelig und verstreut wirkte, damit aber seinen Schwejkschen Scharfsinn zu seinen Gunsten zu verstecken verstand. Was da häufig aufeinander prallte, war der Habitus der der gut gebildeten "oberen Zehntausend" und das gutmütig, proletarisch angehauchte Staunen des Angestellten Columbo. Das machte Spaß. Regelrecht legendär sein "Just another thing" (Ich habe da noch eine Frage ...).


Nun verstarb Peter Falk am 23.06.2011. Mit ihm geht ein interessanter und engagierter Schauspieler. Lesenswerte Nachrufe auf Peter Falk gibt es von Daniel Kothenschulte (Frankfurter Rundschau) und auf dem Zeitgeistlos-Blog.




Nicht ohne Grund fiel diese Presseschau etwas umfangreicher aus. Es wird zwar ggf. noch einen kleinen Beitrag geben, aber da ich in den nächsten Tagen wieder außer Landes bin, wird es jetzt erstmal etwas ruhiger werden. Ich bin mir aber sicher, dass es nach dem 12. Juli wieder etwas zu berichten gibt. Smilie by GreenSmilies.com

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