Samstag, 11. Oktober 2008

Autismus und Schnitter

In der Frankfurter Rundschau (online) ist ein interessanter Artikel zum Thema Arbeitsbelastung erschienen: "Arbeit macht krank" von Thorsten Herdickerhoff.

"Gute Arbeitsbedingungen bedeuteten, dass die Menschen Arbeitswege selbst bestimmen könnten, sie bekämen Rückmeldungen, aus denen sie lernen, und sie würden ihrer Leistung gemäß gefordert. 'Das Gefährliche ist, dass zurzeit die Arbeitsintensität hochgezogen wird', sagt Rau. Daher verlören selbst Menschen, die leitende Funktionen haben und Entscheidungen treffen, ihre Spielräume, weil ihnen die Zeit zum Nachdenken genommen werde.

Die Untergebenen stünden unter demselben Zeitdruck, müssten Fehlentscheidungen ertragen, und erhöhten ihren Stress zum Teil selbst, weil auch sie Karriere machen wollten. Wer dann noch in einem feindlichen Umfeld arbeite, habe keine Chance."

Den zitierten ForscherInnen nach führt solch eine „Überarbeitung“ zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, aber vor allem auch zu psychischen Problemen wie zum Beispiel Depression und chronische Müdigkeit. Im Extremfall kann der Körper „plötzlich“ kollabieren – Herzversagen. In Japan ist dieser unverhoffte Tod unter dem Begriff „Karoshi“ bekannt. Maßgebliche Ursache sei nicht nur die Überarbeitung an sich, sondern ebenso die Personalpolitik, die zunehmend auf Mitarbeiterkonkurrenz setzt und darüber das Betriebsklima ungünstig gestaltet.

Obwohl nach meinem Wissensstand das Thema Burnout und Depression mittlerweile schon ein höheres Maß an Aufmerksamkeit genießt, scheint mir das Problem selbst noch nicht richtig erkannt worden zu sein. Im Grunde ist auch nichts anderes zu erwarten: Sowohl die Hartz-IV-Gesetze als auch die Neuregelungen zur Leiharbeit/Zeitarbeit sollen ja einerseits „von unten“ Druck auf die Normalbeschäftigten ausüben. Andererseits wird mit Hartz-IV das Menschenbild des arbeitsunwilligen und faulen Menschen kultiviert, welchem nur durch Druck und Zwang beizukommen ist. Entsprechend sorgen die politischen Rahmenregelungen also dafür, dass sich die von den ForscherInnen gekürten Stressfaktoren regelrecht festsetzen können. Volkswirtschaftlich ist das natürlich ziemlich bedenklich, denn da mögen langfristig durchaus noch Gesundheitskosten auf uns zukommen. Menschlich ist diese Tendenz ohnehin fragwürdig. Eine der Forscherinnen spricht deshalb ganz klar von sozialer Gewalt. Geradezu skandalös, wie autistisch sich die Politik gegenüber diesem Problem gibt; eine Lösung scheint nämlich nicht in Sicht. Vielleicht fehlt aber nur noch der richtige Leidensdruck? Fragt sich nur, wie der sich artikulieren soll, ohne den autistischen PolitikakteurInnen als Einzefall die Regel zu bestätigen.

“Die Zukunft sieht Dejours düster. Weder Firmen noch Staaten wollten in den Prozess eingreifen, 'der politische Wille fehlt'. Die Marburger Forscherin Renate Rau ist ebenfalls pessimistisch: 'Wir sitzen gerade wie ein Kaninchen vor der Schlange. Wenn sich nichts ändert, dann knallt's.' [...] 'Wir sind dabei, unsere Gesellschaft zu zerstören', sagt Pezé. 'Wir werden noch Sabotage erleben und Morde an Managern.' Einen gab es bereits, bei einer Tochterfirma des Schweizer Industriekonzerns OC Oerlikon nahe Neu Delhi in Indien. In einem heftigen Streit um Entlassungen prügelten 150 indische Arbeiter den Manager Lalit Kishore Chaudhary zu Tode.“

Insgesamt also ein lesenswerter Artikel!


Keine Kommentare: