Sonntag, 9. März 2008

Zu Gast bei Freunden: Ein reichlich verspäteter Nachtrag zur Fussball-WM 2006

Angestachtelt von einem Interview mit Charlotte Roche über ihr neues Buch „Feuchtgebiete“, habe ich mir mal noch ein älteres Interview mit ihr – vom 16.10.2006 – durchgelesen. Unter anderem ging es dabei um das Thema Fussball-WM und so war ich dann ganz erstaunt, Folgendes zu lesen.

Ist denn die Stimmung nach dem Halbfinal-Aus der deutschen Mannschaft so rapide gesunken?

Ja, die WM wurde immer als das Fußballfest dargestellt, das war aber nicht so. Die Leute haben nicht Fußball gefeiert, die haben sich selbst gefeiert. Das war ein ganz komisches Event. Das war Eventgier – die Leute wollen in Gruppen sitzen, schreien und johlen. Und dann feiern die den dritten Platz einfach so, als ob sie Weltmeister sind und nicht Italien! Seit wann gibt es denn Weltmeister der Herzen?

Sie sind gegen die Eventisierung?
Absolut, und auch dagegen, dass man sich nur so lange dafür interessiert, bis Deutschland nicht mehr dabei ist. Das ist doch total verdächtig – die interessieren sich doch nicht für Fußball, sondern nur für sich selbst und für ihr Land.“

Quelle: "Dann verkaufe ich meine Seele"


Warum ich das interessant finde, liegt darin begründet, dass ich just diesen Vorwurf in einem eigenen Blogeintrag zum Ausrdruck brachte – und zwar am 02. Juli 2006. Grund genug, mich in virtueller Leichenfledderei zu üben und diesen Eintrag einfach mal hier „herüber“ zu holen.

Zu Gast bei Freunden oder
„Ihr dürft nach Hause fahr'n ...“


Tja, mit Argentinien wird es wohl nichts mehr. Auch Brasilien ist draussen. Da habe ich also gehörig daneben gelegen. Schade, denn beide haben trotzdem meine uneingeschränkte Solidarität. Insbesondere der argentinische Tormann, der von Klose so malträtiert wurde, dass er wenig später ausgewechselt werden musste – möglicherweise DER Grund für Deutschlands EM-Sieg. Komisch, dass dies von der Journalie nicht sonderlich breitgetreten wird.

Was mir in diesem Zusammenhang auffiel, waren die ziemlich bissigen Kommentare gegenüber den Verlierern. „Ihr dürft nach Hause fahr'n ...“ hieß es da in den Spottgesängen. Kaum zu glauben, dass man noch vor wenigen Wochen jene als problematisch einstufte, die mit „Ausländer raus!“ und „Gute Heimreise!“ für national befreite Zonen sorgten. Verwundert bin ich vor allem, weil uns die täglichen Vorbeter in den Zeitungen immer wieder über die so offene deutsche Stimmung und Freundlichkeit berichten. Statt Selbstironie erlebt man so aber eigentlich nur ein Nachtreten – eine nachträgliche Demütigung der bereits Geschlagenen. Freude gibt es nur dann, wenn man selbst siegt. Von der Freude MIT anderen Fehlanzeige. Ist das nun deutsche Leitkultur? Egal, was es ist, bei einem Gastgeber wirkt so ein Verhalten ziemlich widersprüchlich! „Die Welt zu Gast bei Freunden“, damit man sie wieder freudig mit „Ihr dürft nach Hause fahr'n ...“ verabschieden kann. Irgendwie taktlos!

Nun sollte mit dem landläufigen Ballermann-Publikum und ihren tumben Sprüchen nicht zu hart ins Gericht gegangen werden. Anders aber bei der Journalie – unserer „Elite“. Dort finden sich neben der ewigen Litanei „Deutschland wird Weltmeister“ bissige Kommentare über die Gegner, insbesondere Brasilien. Spaß gibt es nur dort, wo man über sich selbst berichten kann. Von der Freude für und über unsere Gäste ist daher nicht viel zu spüren. Wer für sie (Gäste) Sympathien hegt, verhält sich unpatriotisch – kann kein Mitglied der germanischen Sippe sein. Nun heißt es allerorten: Deutschland, Deutschland. Und in einem seltsamen gesellschaftlichen Einklang werden Kübel mit Hohn und klammheimlicher Schadenfreude über unsere Gäste ausgeschüttet. Zumindest wird dies als neue Normalität akzeptiert und zelebriert. Etwas, was man man als Deutscher eigentlich eher von der englischen Yellow-Press gewohnt ist. Mit der Rolle als Gastgeber scheint sich das nicht zu vertragen. Aber das scheint auch niemanden mehr groß zu interessieren.

Möglicherweise mag das nun auch wieder typisch „deutsch“ sein, sich darüber den Kopf zu zerbrechen – dies zu ernst zu nehmen. Aber was wäre noch ehrenvoller für einen Gastgeber, als sich über seine Gäste Gedanken zu machen? Was wäre das für ein Gastgeber, der dies nicht tut?


Links

"Dann verkaufe ich meine Seele", Interview mit Charlotte Roche (ZEIT, 16.10.2006)

„Ich stank wie ein Heckenpenner-Iltis“, Interview mit Charlotte Roche (Tagesspiegel)

Portrait von Charlotte Roche in der ZEIT

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